Die Verschreibungszahlen für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind momentan noch gering. Damit sich dies ändert, müssen DiGAs erfolgreich umgesetzt werden – von der Ideenfindung bis zum Geschäftsmodell, mit entsprechender Platzierung am Markt. Ein Fallbeispiel erläutert die verschiedenen Phasen und Hürden, die Anbieter von Gesundheits-Apps meistern müssen.
Mit dem Inkrafttreten des Digitalen-Versorgungs-Gesetzes haben rund 73 Millionen gesetzlich Versicherte in Deutschland die Möglichkeit, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zu nutzen. Mithilfe von Smartphone-Apps können sie ihren Schlaf überwachen, ihre Blutzuckerwerte automatisiert an den Hausarzt übermitteln oder den Verdacht auf eine Infektion bestätigen. Die Softwarelösungen sollen sowohl Ärzten als auch Patienten bei der Behandlung und Prävention von Krankheiten helfen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat mittlerweile schon einige Apps als digitale Gesundheitsanwendung (DiGAs) zugelassen – die Verschreibungszahlen sind derzeit allerdings noch gering.
Im folgenden Fallbeispiel geht es um eine App, die die Zahl von Gehörgangsentzündungen senken soll. Rund zehn Prozent der deutschen Bevölkerung machen im Laufe ihres Lebens schmerzhafte Erfahrungen mit dieser Krankheit. Mit einer entsprechenden App könnten die Anwender nicht nur erste Symptome frühzeitig erkennen, sondern auch Ratschläge für Therapiemaßnahmen erhalten. Nun stellt sich die Frage: Wie sieht so eine App konkret aus? Was ist technologisch erforderlich? Drei Punkte sind in dieser ersten Phase entscheidend: die Erstellung eines Prototyps, eine Machbarkeitsstudie sowie das Projektdesign.
Nachdem die Entscheidung gefallen ist, eine App zu entwickeln, geht es im ersten Schritt darum, einen Prototyp zu designen. Der Prototyp macht das Anwendungserlebnis greifbar und veranschaulicht, wie die App aussehen soll. Dabei muss geklärt werden, welche Anwender- und Patientenbedürfnisse die App erfüllen soll, welche Symptome bei einer Gehörgangsentzündung auftreten können und welche Anwendungsfälle sich daraus ableiten lassen.
Um aus einer groben Skizze der Idee einen vorzeigbaren Prototyp zu gestalten, sollte iterativ und gemeinsam mit einem Kreativteam gearbeitet werden. Durch die frühzeitige Visualisierung der Anwendung können wichtige Fragestellungen zur Funktionalität rechtzeitig auftreten und gelöst werden. Der Prototyp der App sollte auch im Hinblick auf Datenschutz, Compliance und die Klassifizierung als Medizinprodukt überprüft werden. Zudem sollte das Entwicklungsteam schon in dieser Phase eine ungefähre Vorstellung davon haben, wie eine Bewertung des Nutzens im Sinne der „positiven Versorgungseffekte“ aussehen könnte – denn damit steht und fällt am Ende die dauerhafte Zulassung als abrechnungsfähige DiGA.
Zwischen Prototyping- und tatsächlicher Implementierungsphase sollte durch eine Machbarkeitsstudie die technische Umsetzung der Idee überprüft werden. Dabei wird betrachtet, welche Daten die App erheben soll und ob es einer klinischen Studie als Nachweis für positive Versorgungseffekte bedarf. Es geht also in dieser Phase nicht nur darum, die technologische Machbarkeit zu überprüfen, sondern das gesamte Ökosystem zu verstehen. Nur, wenn die spätere Lösung sich möglichst nahtlos in das Gesundheitssystem einbinden lässt, kann man von einer hohen Akzeptanz ausgehen.
Auf Basis der Machbarkeitsstudie beginnt nun die Implementierung der App. Wie bei Softwareprojekten üblich, ist eine möglichst agile Vorgehensweise ideal. An dieser Stelle müssen auch entsprechende Regularien für Medizinprodukte beachtet werden. Es kann sinnvoll sein, hier weitere Impulsgeber oder sogar Partner mit an Bord zu holen, um eine Einbettung in das gesamte Ökosystem zu gewährleisten. Das können Krankenkassen, Compliance-Experten oder App-Anbieter sein, die Erfahrungen aus vergleichbaren Produkten mitbringen.
Um die Risiken der Investition zu minimieren, bietet sich die Implementierung der App in Form eines Piloten an. Dieser sollte mit allen wichtigen Kernfunktionen ausgestattet sein, damit eine Überprüfung in der realen Welt erfolgen kann. So lassen sich etwa kurze Feldtests mit Ärzten und Patienten durchführen, um Erfahrungswerte über die Nutzerfreundlichkeit und die Praxistauglichkeit zu gewinnen. Wenn möglich, sollten durch den Piloten auch direkt Erkenntnisse über positive Versorgungseffekte gesammelt werden – als Stütze für die spätere Zulassung der DiGA.
Sobald die App entwickelt ist und alle vorgegebenen Anforderungen erfüllt sind, kann eine Anmeldung über das „DiGA-Fast-Track-Verfahren“ des BfArM erfolgen. Demzufolge ist eine DiGA ein CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt mit folgenden Eigenschaften:
Sind direkt positive Versorgungseffekte nachweisbar, so kann eine permanente Aufnahme ins DiGA-Register erfolgen. Stehen die entsprechenden klinischen Studien noch aus, ist eine vorläufige Aufnahme möglich.
Erhält die App die Zulassung des BfArM für den deutschen Markt, sollte fortlaufend kontrolliert werden, wie sie bei den Zielgruppen ankommt, um mögliche Anpassungen vorzunehmen. System- und Produktaudits sowie Data Analytics überprüfen die Usability dabei ebenso wie die Themen Informationssicherheit und Datenschutz.
In diesem Fallbeispiel soll die Gesundheits-App schmerzhafte Infektionen vermeiden – aber dem Anbieter auch einen monetären Gewinn einbringen. Seit Januar 2020 sieht der Gesetzgeber die Vergütung der Hersteller bei Inanspruchnahme der Leistungen durch Krankenkassen vor. Diese Möglichkeit ist vielversprechend, aber es ist nicht die einzige Variante, um ein Geschäftsmodell zu entwickeln: Die App lässt sich z. B. auch außerhalb Deutschlands in anderen europäischen Ländern als Bezahl-App direkt vertreiben. Zusätzlich lassen sich Verträge mit privaten Versicherern abschließen, denn mit diesen gibt es derzeit keine grundsätzliche Rückerstattung von DiGAs. Bei der Direktvermarktung ist zu beachten, dass die zugelassene DiGA selbst nicht für Marketingzwecke genutzt werden darf; Werbung innerhalb der App ist untersagt.
Als Hersteller einer DiGA sollte der Blick aber nicht nur auf weitere Märkte außerhalb Deutschlands gerichtet werden. Spannend ist auch die Prävention anderer Krankheiten. Das Know-how, das bei Entwicklung und Zulassung der DiGA gesammelt wurde, lässt sich schließlich auch für weitere digitale Anwendungen nutzen, in diesem Fallbeispiel etwa für andere HNO-Krankheiten. Bereits entwickelte DiGAs können ausgebaut und optimiert werden oder als Grundlage für weitere Gesundheits-Apps dienen.
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* Joachim Stengel ist Manager Life Science & Healthcare bei der Msg Industry Advisors AG.
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