ECMO: So kann die „künstliche Lunge“ schwerstkranke Covid-Patienten retten | Gießen

2022-03-19 07:43:01 By : Ms. Alice Lu

Wenn die Lunge ihren Dienst versagt und Beatmungsmaschinen nicht mehr reichen, gibt es noch eine allerletzte Option: die ECMO. Dr. István Vadász, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik II des UKGM, erläutert Chancen und Risiken der »künstlichen Lunge«.

Gießen - ECMO. Bis vor wenigen Monaten war dieser Begriff nur Experten geläufig. In den Blickpunkt der Öffentlichkeit ist er gerückt, als Bilder aus den Intensivstationen in den Nachrichten auftauchten. Die ECMO wird als Ultima Ratio bestaunt und gleichzeitig gefürchtet. Doch wie funktioniert die »Extrakorporale Membranoxygenisierung« eigentlich genau? Dr. István Vadász erklärt die einzelnen Schritte. Bundesweit gibt es auf den Intensivstationen 670 ECMOs, in Gießen verfügt man derzeit über zehn Geräte. Die Mediziner im UKGM setzen die ECMO schon seit über 15 Jahren ein.

Bevor die ECMO zum Einsatz kommt, haben die Mediziner alle anderen Optionen ausgeschöpft. Schwer kranke Patienten mit geschädigten Lungen bekommen zunächst Luft mit hohem Sauerstoffanteil per Maske zugeführt. Hilft das nicht mehr, wird intubiert. Ein Beatmungsgerät presst nun das lebensnotwendige Gas in die Lunge des Patienten. Wenn das stark beschädigte Organ nicht mehr ausreichend Sauerstoff aufnehmen kann, droht der Erstickungstod. Die ECMO, ein optisch unscheinbares Gerät und doch ein Wunderding, kann dieses Problem außerhalb des Körpers lösen. Durch einen Katheter mit daumendicken Schläuchen wird verbrauchtes, kohlendioxidreiches Blut mittels einer Pumpe aus einer großen Vene des Körpers gesaugt. Damit es nicht zu Gerinnungen kommt, wird es »unterwegs« mit Blutverdünnern wie Heparin versetzt.

Das Herzstück des Geräts ist der Membran-Oxygenator. Dort wird das Blut mit Sauerstoff angereichert und dann zurück in den Körper geführt. Der Generator ist etwas größer als eine Cola-Dose.

Die Membran ist in Lamellen angeordnet, weil die Oberfläche dadurch vergrößert wird. Es ist zwar immer noch nur ein Bruchteil der Gasaustauschfläche der menschlichen Lunge, das reicht jedoch aus, da der Sauerstoffgehalt des verwendeten Luftgemisches fünfmal so hoch ist wie in normaler Atemluft. Das Blut strömt auf der einen Seite entlang, auf der anderen Seite strömt das Luftgemisch. Sauerstoff und Kohlendioxid können durch die Membran hindurchwandern, andere Blutbestandteile hingegen nicht. So ahmt das Gerät die natürliche Tätigkeit der Blutbläschen nach: Durch den Konzentrationsunterschied angetrieben, gibt das Blut wechselseitig Kohlendioxid ab und nimmt Sauerstoff auf. Der Oxygenator übernimmt den Gasaustausch, der sonst in der Lunge stattfindet.

Die Schläuche müssen so dick sein, damit die Zirkulation von vier bis sechs Litern Blut pro Minute erzielt werden kann, schildert Vadász. Der Blutfluss muss wie alle anderen Parameter bei den meist sedierten Patienten genau überwacht werden. Infusionen, Medikamente, Magensonde, Ausscheidungen, Blutwerte, all das muss im Blick behalten werden.

Jedes kleine Hüsteln des Patienten kann dazu führen, dass die Maschine stoppt, was sofortige Lebensgefahr bedeuten würde. Auch darf es nicht passieren, dass die Kanülen sich durch den Unterdruck ansaugen, beschreibt Daniel Gran, Intensivpfleger auf der Station 2.5 des UKGM. Er ist ebenso wie seine Kollegen vertraut mit den Herausforderungen der ECMO. Doch angesichts der hohen Belegung der Station lastet die Verantwortung schwer auf den Schultern der Pflegekräfte. Niemand kann gleichzeitig an mehreren Orten sein. »Gerade für die jungen Kollegen ist die Situation schwer auszuhalten«, weiß Gran. »Die gehen zu Hause im Kopf noch mal jeden einzelnen Handgriff durch.«

Eigentlich, ergänzt Stationsleiter Tobias Kempff, wäre eine 1:1-Betreuung bei den ECMO-Patienten wünschenswert, doch dies ist angesichts steigender Patientenzahlen und des im Laufe der langen, harten Monate der Pandemie geschrumpften Teams nicht möglich. Dennoch tun alle, was sie können. Längst schon sind die »Helden von Covid-City« nicht mehr nur am Limit, sondern weit darüber hinaus.

Das Ziel ist erreicht, wenn die Lunge wieder an Dehnbarkeit gewinnt und wieder selbstständig arbeiten kann. Der Weg dorthin ist jedoch voller Risiken: Blutungen, Blutvergiftungen, Entzündungen sowie die Schädigung weiterer Organe können auftreten. Auch die meist parallel laufende Beatmung ist sehr belastend und eine Tortur für die Lunge und den gesamten Körper.

Die Entlastung der Lunge durch eine ECMO kann mehrere Wochen aufrechterhalten werden. Die Lungenmaschine kann nicht heilen - vielmehr ist sie eine Überbrückung, um dem geschädigten Organ Zeit zur Erholung zu geben. Infrage kommt sie für Patienten in gutem Allgemeinzustand, denn die Belastung und das Risiko sind hoch. Am Anfang der Pandemie starben noch 80 Prozent der Patienten, die an eine ECMO angeschlossen werden mussten. Heute sind es deutlich weniger, etwa 40 bis 50 Prozent. Ein großer Fortschritt. Er liegt zum einen darin begründet, dass inzwischen Medikamente zur Verfügung stehen, die es Mitte 2020 noch nicht gab, schildert Vadász. Zum anderen liegt es daran, dass die Patienten in der ersten Welle vorrangig hochaltrige Menschen mit Vorerkrankungen waren. Für sie ist die ECMO aufgrund ihrer Multimorbidität keine Option. (Christine Steines)

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